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Der Platz von Mutter und Kind ist selbstverständlich? Nein. Er ist zugewiesen. Von Anfang an erleben Mütter, dass sie nur so viel Raum beanspruchen dürfen, wie ihnen von der Gesellschaft zugestanden wird. Es ist ein Platz, der mit vielen Mythen aufgeladen ist. Der Mythos der Übermutter, der heiligen Mutter, der Rabenmutter. Die Mutter ist diejenige, deren Position angeblich so geachtet, aber in der Realität vor allem verhandelt und von anderen bewertet wird. Besonders, wenn Mütter sich trennen, aus welchen Gründen auch immer.
Nicht immer sind es Schläge, die Mütter zur Trennung zwingen. Häufig zeigt sich Gewalt auch in jahrelangen Demütigungen, Isolation, Abhängigkeit. Es geht um ungleiche Machtverhältnisse. Auch Paare, die sich als modern und aufgeklärt verstehen, thematisieren sie nur selten. Und doch stellen die Machtverhältnisse jeden Tag den Platz von Mutter und Kind neu in Frage.
WENN MÜTTER SICH TRENNEN
Wenn Mütter sich trennen und ein selbstbestimmtes Leben anstreben, stellen sie oft fest: Der eigene Platz ist gar nicht der eigene Platz. Er wird zugestanden. Vor der Trennung – in der klassischen Familienordnung – war das nicht unbedingt sichtbar. Es blieb verschleiert. Der Platz von Mutter und Kind schien eine Frage der Ausgestaltung im Privaten. Doch die Trennung zerreißt den Schleier. Plötzlich wird klar: Der Platz von Mutter und Kind ist immer politisch.
Mütter fragen sich: Wer lässt zu, dass mein Platz überall zur Disposition steht, dass mein Kind und ich nicht sicher sind?
Wir stellen fest: Wieder sind es wirkmächtige Mythen, die Müttern via Familiengericht erneut ihren Platz zuweisen. Nur: Dieses Mal sind die Mythen weniger bekannt – und tragen andere Namen.
MÜTTERFEINDLICHE MYTHEN
Mit dem Narrativ der ‚Bindungstoleranz‘ kann die Mutter am einfachsten in ihrer Autonomie beschränkt werden. Sie bekommt gerade noch so viel Platz zugestanden, dass sie nicht ganz vom Feld gefegt wird (man kann sie vielleicht noch für etwas gebrauchen). Manchmal aber wird sie auch vollständig verdrängt. Dann ist ihr Platz gänzlich überschrieben von mütterfeindlichen Erzählungen. Was märchenhaft grausam anmutet, wird mit Pseudo-Wissenschaftlichkeit von Gutachter:innen und anderen Akteur:innen am Familiengericht vorgetragen und legitimiert.
Kernbehauptung der ‚Bindungsintoleranz‘: Ein Nichtzulassen der Bindung zum Vater. Wie absurd der Vorwurf der Bindungsintoleranz ist, zeigen Beispiele, in denen Mütter nie mit dem Vater zusammengelebt haben, es kaum Kontakt gab, aber dieser nach einigen Jahren auf einmal das gemeinsame Sorgerecht begehrt. Lehnt die Mutter dies ab, ist das ein Zeichen ihrer vermeintlichen Bindungsintoleranz. Auch im Falle von sexueller, körperlicher oder psychischer Gewalt gegen die Mutter spielt die Gewalt bei der Entscheidung über den Umgang mit dem Vater kaum eine Rolle. Die Mutter muss den Umgang tolerieren, sonst droht ihr der Vorwurf der Bindungsintoleranz. Dass Gewalt gegen die Mutter auch Gewalt gegen das Kind ist, wird an Gerichten regelmäßig ausgeblendet. Und nicht selten verlieren Mütter, denen man Bindungsintoleranz attestiert, das Sorgerecht oder müssen samt Kindern im Zwangswechselmodell mit einem Täter leben.
(ER)DULDEN VON GEWALT: ANPASSUNGSTOLERANZ
Um dem Vorwurf der Bindungsintoleranz zu entgehen, müssen Mütter und Kinder bereit sein, nahezu alles hinzunehmen und zu erdulden. Gerichte und Gesellschaft erwarten von ihnen eine enorme Anpassung. Sie müssen sich den Erwartungen einer Gesellschaft unterwerfen, die vor allem alleinerziehenden Müttern keinen selbstbestimmten Platz zugesteht – nur einen Platz, den andere für sie bestimmen. Ihr Platz, weil er nur zugestanden ist, steht permanent infrage und ist nie sicher.
In Unsicherheit zu leben heißt für Mütter auch, unter permanenter Beobachtung zu leben. Wie in Jessamine Chans dystopischem Roman sollen sie bereit sein, sich maximal anzupassen. Chan schuf dafür das „Institut für gute Mütter“. Das mag Fiktion sein. Doch es ist längst Realität, dass getrennte Mütter permanenter Kontrolle und Sanktionen durch Institutionen ausgeliefert sind: Sie erleben institutionelle Gewalt, die ihre Rechte verletzt.
Wir möchten sichtbar machen, wie unsicher der Platz für Mutter und Kind ist und was es bedeutet, wenn dieser Platz immer bedroht ist. Wie es sich anfühlt: Gehetzt. Atemlos. Erschöpft. Mutter und Kind werden auf dem Battlefield des Familiengerichts zerrieben, wenn ihre Anpassungstoleranz nicht ausreicht. Dabei sind sie bereit, immer noch mehr zu erdulden. Sie sind bereit auszuhalten, dass die Gewalt nicht endet und durch die Institutionen fortgesetzt wird. Damit sie vielleicht noch einen kleinen Platz für sich behalten dürfen. Und immer häufiger nicht einmal das.
Das muss aufhören. Das können wir nicht tolerieren. ‚Bindungstoleranz‘ darf keine Waffe sein, Anpassungstoleranz keine Lösung.
Der Platz von Mutter und Kind muss sicher sein.